Apokalypse - mystische Sicht

Buchbesprechung: Joachim von Fiore, "Das erleuchtete Verständnis der Apokalypse"

Joachim von Fiore (1130/1135 - 1202) wird eine plötzliche Erleuchtung geschenkt. Dieser Vorgang wiederholt sich während einer Osternacht und führt zu jahrelang gesuchtem Verständnis der Apokalypse und schenkt ihm die große Zusammenschau der Heiligen Schrift.

Er selbst schreibt:

„Inmitten der nächtlichen Stille, da uns der Erlöser aus dem Stamm Juda auferstanden ist, empfing ich nach kurzem Meditieren Erleuchtung, die mit strahlender Helligkeit  die Augen des Geistes öffnete, über die ganze Fülle der Weisheit dieses Buches und über den ganzen Zusammenhang des Alten und des Neuen Testamentes.“

Jetzt fand er die lang gesuchte Konkordanz (Übereinstimmung) zwischen den Epochen der Heilsgeschichte.

Joachim von Fiore geht von der Trinität aus.
Den drei göttlichen Personen entsprechen drei Zeitalter: Vater = Altes Testament; Sohn = Neues Testament; Heiliger Geist = Zeitalter des Geistes (grundsätzlich und/ oder im Zusammenhang mit Heiligem Geist). Der Heilsplan (Vollendung der Schöpfung [unseres Universums]) wiederholt sich also in ähnlichen und deshalb voraussehbaren Zyklen, die zueinander in einer vielseitigen Parallelität stehen, aber so, dass die fortschreitende Entwicklung sie gleichsam spiralförmig in die Höhe führt (Sinnbild der Himmelsleiter). Der eine Zyklus ist Vorbild für den nächsten, der die Erfüllung des Vorbildes bringt (wie auch Jesus von Nazareth uns ein Beispiel gegeben hat für den vollendeten göttlichen Menschen als Vorbild für unseren eigenen Weg – so meine Überzeugung - NostraMiZi).  


„Auf drei Weltordnungen (Status) weisen uns die Geheimnisse der Heiligen Schrift. Auf die erste, in der wir unter dem Gesetz waren (Mose – Anmerkung von mir); auf die zweite, in der wir unter der Gnade sind („Christusamt“ und „Regina der Erde“); auf die dritte, welche wir schon aus der Nähe erwarten, in der wir unter einer reicheren Gnade sein werden (Heiliger Geist). Der erste Status also steht in der Wissenschaft, der zweite in der teilweise vollendeten Weisheit, der dritte in der Fülle der Erkenntnis.
Der erste Status ist die Zeit der Knechtschaft der Sklaven, der zweite in der Knechtschaft der Söhne, der dritte Status in der Freiheit. Im ersten Status herrscht die Furcht, im zweiten der Glaube, im dritten die Liebe. Der erste Status ist der Status der Knechte, der zweite der Freien, der dritte der Freude; der erste der des Knaben, der zweite der Männer, der dritte der Ahnen; der erste steht im Lichte der Gestirne, der zweite im Lichte der Morgenröte, der dritte in der Helle des Tages; der erste steht im Winter, der zweite im Frühlingsanfang, der dritte im Sommer; der erste bringt Primeln, der zweite Rosen, der dritte Lilien; der erste bringt Gras, der zweite Halme, der dritte Ähren; der erste bringt Wasser, der zweite Wein, der dritte Öl; der erste bezieht sich auf die Septuagesima (der erste Sonntag der Vorfastenzeit - und zwar im außerordent-lichen Ritus der römisch-katholischen Kirche), der zweite auf die Quadragesima (österliche Fastenzeit), der dritte auf das Pfingstfest; der erste Status bezieht sich auf den Vater, der zweite auf den Sohn, der dritte auf den Heiligen Geist.“ (Protokoll von Anagni; übersetzt von Benz „Ecclesia spiritualis“ 9.)  

Mit diesem Denken wird mit der bisherigen Geschichtsauffassung des Mittelalters radikal gebrochen. Nach der überlieferten Auffassung war die Geschichte durch das Kommen des Weltenheilands gespalten, und zwar in die Zeit vor Christus und nach Christus. Jetzt aber wird der Geschichtsablauf dreiteilig. Das letzte Zeitalter nach Christus, die Zeit vor der Wiederkunft Christi und dem Weltuntergang, ist für ihn nicht das letzte dieser irdischen Welt (diese Auffassung vertrat unter anderem auch Nostradamus – Anmerkung von mir - NostraMiZi). Joachim von Fiore verlegt die dritte Weltzeit nicht ins Jenseits, wie man herkömmlich sich gedacht hatte, sondern ins Diesseits. Das Erscheinen des Antichrist, das den Weltuntergang einleitet und das auch Joachim ankündigt als Abschluss der zweiten und Beginn der dritten Epoche, bringt aber nicht das Weltende, sondern nur das Ende der jetzigen zweiten Epoche des Sohnes. Sie wird abgelöst durch das dritte Reich des Geistes.

Damit ist etwas Entscheidendes ausgesagt.

Die Kirche ist in ihrer jetzigen Gestalt nicht endgültig, sondern sie ist qualitativ der Vervollkommnung fähig. Auch ihre Normen, ihr Recht und ihre Einrichtungen sind veränderlich. Auch das heilige Buch des Neuen Testamentes ist nicht mehr die letzte Norm, sondern es kann noch überhöht werden durch das ungeschriebene „Evangelium aeternum“ (Evangelium für alle Zeiten – universales Evangelium im erweiterten Sinn), in dem nichts verhüllt ist, sondern offenbar liegt. Die Offenbarung ist mit Christus nicht mehr abgeschlossen, sondern geht weiter und wird höher und klarer. Nicht mehr die Wiederkunft des Herrn steht im Mittelpunkt dieses Denkens, sondern die Errichtung des „Reiches des Geistes“.

Quelle: „Das Jahrhundert der Reformation und der Reform“, Franz Peter Sonntag, Benno-Verlag  


persönliche Anmerkung:

Legt man für das „Evangelium aeternum“ nur die genannten Kriterien, „ in dem nichts verhüllt ist, sondern offenbar liegt“ zu Grunde, würde der Koran durchaus einem solchen Evangelium entsprechen. Was wiederum die Aussagen des Propheten, der Koran sei die Fortführung des NT und Berichtigung von Missverständnissen in der christlichen Auslegung, in einem völlig neuen Licht erscheinen lässt. Wobei aus- drücklich vermerkt sein soll, das der Koran in keinster Weise die Aktivitäten von Islamisten rechtfertigt, geschweige denn begründet. Was dieser Annahme entgegen- steht ist der "universale Charakter". Der Koran wurde ausdrücklich als das "Heilige Buch des arabischen Sprachraums" übermittelt. Darüber hinaus müsste das „Evangelium aeternum“, nach meiner Auffassung, über der/den Bewusstseinsebenen der Religionen liegen und dort existiert "nur noch" die "universale Liebe". Sie ist das Kriterium für alles. Über welche Religionen oder spirituelle Philosophien man dahin gelangt ist, spielt dann keine Rolle mehr.