Die Propheten - Prophetie

Das Prophetenamt im alten Israel

Fortsetzung III

Pinchas Lapide - "Ist die Bibel richtig übersetzt?"

Im Buche Esther lesen wir:

 

"Da tat der König Xerxes seinen Ring von der Hand und gab ihn Haman, der Erzfeind der Juden (...), der damit den königlichen Befehl versiegelte, man solle alle Juden vertilgen, töten und umbringen, jung und alt" (Est 3, 1Off.) - worauf Königin Esther drei Tage lang fastet, alle Juden Buße tun und der Völkermord vereitelt wird.

 

In der Rückschau auf jenes Ereignis heißt es im Talmud:

"Das Abziehen des königlichen Siegelringes war wirksamer als die gesamte Predigt der achtundvierzig "Propheten" und sieben "Prophetinnen" in Israel. Denn ihre Predigten bewegten das Volk nicht zur Umkehr; der Siegelring mit seiner Todesdrohung aber brachte es fertig" (Megilla 14a).

 

Fehlbarkeit, Menschenschwäche und häufiges Scheitern sind also unverzichtbare Bestandteile jenes Botenamtes, das keiner der Künder im alten Israel jemals willig auf sich nahm.

 

Moses beteuerte, er habe eine "zu schwere Zunge", um zu künden; Elia war aus Verzweiflung in die Wüste geflohen, um der Stimme zu entgehen; Jeremia fürchtete, er sei zu jung und unerfahren, und Jona suchte sein Heil nicht im Herrn, sondern in der Flucht nach Tarschich.

 

In der Tat, ein Honigschlecken war das Kündertum wohl nie, denn ein wahrer "Prophet", der mahnt, der rügt und droht, wird heute, genau wie anno-dazumal, für seine Mühe geschlagen, verbannt oder ausgelacht. Aber schweigen konnte er dennoch mitnichten. Denn die Klage Jeremias gilt wohl für alle seine Leidensgefährten:

 

"Das Wort des Herrn ward in meinem Herzen wie ein lebendiges Feuer, so dass ich´s nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen" (Jer. 20,9).

 

So steht er also da vor uns: der typische Künder im biblischen Israel - im Ausland als "Prophet" verkannt. Dass er lediglich der Kundgeber des Gottesrufes ist, aber keine feststehende Zukunft vorauszusagen hat, wird am eindrücklichsten im Buche Jona vergegenwärtigt - dem Hohenlied der Unverfügbarkeit Gottes und seines souveränen Heilshandelns.

 

Denn Jona, "der Prophet", versucht sein Bestes, um der göttlichen Berufung zu entfliehen; er lehnt den ihm zugedachten Auftrag in Wort und Tat ab, "weissagt" dann genüsslich den Untergang Ninives, erwirkt jedoch wider Willen die Buße der Heidenstadt und zürnt dann ob Gottes Langmut, die seine "Prophezeiung" Lügen straft - sodass er letzten Endes Erfolg hat, obwohl er gar keinen haben will. Kurzum: "Gott reute das Unheil, das ihnen zu tun er geredet hatte, und er tat es nicht" (Jon. 3,10).

 

Da die Evangelien weitgehend auf dem Schema "Prophetische Verheißung" - "Erfüllung in Jesu" beruhen, sollte diese Fehldeutung  des hebräischen Künderamtes bei der Auslegung des Neuen Testaments berücksichtigt werden. Denn keiner der Gottesmänner im alten Israel hat je prophezeit, dass der Messias "Nazarener" heißen soll (Mt. 2,23); dass er "zu Bethlehem im jüdischen Lande" (Mt. 2,5-6) zur Welt kommen müsse und nach Ägypten fliehen würde, nur um dann "aus Ägypten" zurückzukehren (Mt. 2,14f.).