Die Propheten - Prophetie

Das Prophetenamt im alten Israel

Fortsetzung IV

Pinchas Lapide - "Ist die Bibel richtig übersetzt?"

Ebenso (wenig) "musste" Jesus auf zwei Tieren reitend in Jerusalem einziehen, nur weil derselbe Evangelist den biblischen Parallelismus in Sach. 9,9 allzu wörtlich nahm; er "musste" von einem seiner Tischgenossen verraten werden, nur weil es beim Psalmisten autobiographisch heißt: "der mein Brot mit mir aß, lehnte sich hinterrücks gegen mich auf" (Ps. 41,10).

 

Der berüchtigte Judaskuss hatte sein "prophetisches" Vorbild ebenfalls bei König David,  dessen Feldherr Joab seinen Rivalen Amasa mit dem Schwert verräterisch tötet, während dieser ihn küßt (Sam. 20,9).

 

Er "musste" für seinen "Verrat" (ein Wort, das bei Judas niemals im NT vorkommt) genau "30 Silberlinge erhalten" - eine Münzwährung, die es zu Jesu Zeiten längst nicht mehr gab -, nur weil das Buch Exodus (21,32) von "30 Schekel" als niedrigsten Kaufpreis eines Mannes spricht, ein Sklavenwert, den später Sacharja spöttisch auf sich selbst bezieht (sach. 11,13-13).

 

Jesus "musste" Durst erleiden (Ps. 26,19 in Joh. 19,28), zuerst Galle (Mt. 27,34), dann Essig (Joh. 19,29) trinken, da der Psalmist einst solche feindselige Nahrung von seinen Verfolgern erhielt (Ps. 69,29).

 

Er "musste" zwischen "zwei Schächern" sterben (Mk 15,27) "auf dass die Schrift erfüllt werde, die besagt: er ist unter die Übeltäter gerechnet" (Mk. 15,28 zu Jes. 53,9f).

 

Die römischen Soldaten "mussten" seine Kleider unter sich teilen, aber um seinen ungeteilten Rock würfeln, da es im Ps. 22,19 heißt: "Sie teilen unter sich meine Kleider und werfen das Los um mein Gewand".

 

Dieselben Legionäre durften seine Beine nicht zerschlagen (Joh. 19,33), wie dies als Gnadentod für Gekreuzigte damals üblich war, da solch ein Zerbrechen der Knochen beim Verzehren des Passahlammes verboten ist (Ex. 12,46).

 

Sie "mussten" ihm jedoch eine Lanze in die Seite stoßen, da Sacharja in einer umstrittenen Stelle besagt: "Sie werden auf mich hinblicken, den sie durchstoßen haben" (Sach. 12,10).

 

Und so geht es weiter:

vom Händewaschen des Pilatus und dem Schild über dem Kreuz zum Spott der Vorübergehenden zu Golgota, über die "Ysopstaude" eines der römischen Söldner bis hin zum letzten Kreuzeswort, das ein wörtliches Zitat aus Ps. 22,2 ist.

 

Es gibt fast keinen Punkt, kein Detail in den Jesusberichten der Evangelien, die nicht von dieser wörtlichen Schriftgebundenheit beeinflusst sind, wobei die oft krampfhaft anmutende Suche nach "prophetischer Schrifterfüllung" mehr rituell als real klingen muss.

Ja, oft kann man nicht umhin, an das Goethewort aus dem "Tasso" zu denken:

"Man merkt die Absicht und man ist verstimmt."

 

Dass dabei Markus (1,2-3) ein Maleachi-Zitat (Mal. 3,1) fälschlich dem Jesaja zuschreibt, Matthäus (27,9-10) einen Sacharjatext (11,12-13) mit einem Spruch des Jeremia verwechselt - was tut´s, solange "alles erfüllt werden muss, was von mir (Jesus) geschrieben ist im Gesetzt(!) des Mose, in den Propheten und in den Psalmen" (LK. 24,44).

 

Und wenn ein Prophetenwort nicht genau mit einem Detail in Jesu Leben übereinstimmt, wird es entweder zurechtgebogen (z.B. Jes. 49,8 in Kor. 6,1-2; Ex. 3,6 in Mt. 22,31-32; Jes. 8,23 und 9,1 in Mt. 4,15-16), frei erfunden (z. B. Joh. 7,38; Eph. 5,14; Jak. 4,5) oder man behauptet, die Propheten, die von der Gnade geweissagt haben, hätten den vollen Sinn ihrer eigenen Worte gar nicht richtig erfasst - bis ihnen die Autoren des NT ihre christologische Deutung zu geben wussten (vgl. 1 Petr. 1,10-12).

 

Mit den Worten des evangelischen Theologen Markus Barth:

 

"Wir geben zu, dass seit dem ersten Jahrhundert nach Christi Geburt Christen prophetische Aussprüche aus der hebräischen Bibel gesucht, gesammelt und wiederholt haben, um den Juden die Messianität Jesu zu beweisen (...) Aber das tut weder ihnen noch einem Juden etwas Gutes".*

 

Vielleicht wäre es heute an der Zeit, dem hebräischen NAWI wieder sein gottgewolltes Amt des Künders, Mahners und Rügers zurückzugeben, ohne ihn zum Orakelsprecher umzufunktionieren.

 

* M. Barth: Was kann ein Jude von Jesus glauben und dennoch Jude bleiben? In: Newsletter Nr. 2 des "Kommittee Kirche und das Jüdische Volk" des Weltkirchenraters, Genf, Mai 1965, S. 6f).

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