Betrachtung zum Ursprung der Smaragdina

Kommentar von Laura &. Andrew Sherman - "Das Geheimnis der Smaragdina"

Um die Vorgeschichte der Tabula Smaragdina aufzuklären, müssen wir zurück nach Ägypten gehen. Aus alten Tempeln, aus königlichen Schatzhäusern, aus dunklen Grabkammern und Verstecken kommen die Schriften Bücher, die das Geheimwissen enthalten, das die Überlieferung direkt dem Gott Hermes (Thot) zuschreibt. Traum-gesichte und Visionen geben begnadeten Auserwählten Aufschluss darüber, wo sie die Bücher finden.

 

Schon das „Buch des Krates“, frühestens im sechsten Jahrhundert nach Christus verfasst, kennt Hermes Trismegistos, den „dreimal großen Hermes“ als weise Gestalt, die mit weißen Gewändern angetan auf einem Thron sitzt und eine leuchtende Tafel mit einer Inschrift in der Hand hält. Diese Tafel ist das Urbild der Tabula Smaragdina.

 

Das Buch, das Krates fand, entspricht dem „Buch der Ursachen aller Dinge“, das Apollonios von Tyana der Grabkammer zu Tyana entnahm. Wie das Buch des Krates „Vertreiber der Finsternis und Erleuchter der Helligkeit“ heißt, so lesen wir in der Tabula: „Weil mit dir das Licht der Lichter ist, flieht vor Dir die Finsternis.“

 

Wir wissen heute, dass Hermes Trismegistos keine historische Persönlichkeit gewesen ist, und es wurde auch keine Smaragdtafel im Grab des Meisters gefunden. Seltsamerweise ist die alte Legende jedoch nicht völlig falsch, denn die früheste Abschrift der Smaragdina findet sich im sogenannten „Papyrus von Leyden“, der 1828 in dem Grab eines unbekannten Magiers im ägyptischen Theben gefunden wurde.

 

In den Retorten der Alchemisten wurden die Mythen Griechenlands, Israels, Ägyptens und Arabiens zusammengeschmolzen. Alexander der Große und König Salomo besaßen angeblich den „Stein der Weisen“, ebenso Pythagoras, Demokrit und Galen. Wo immer in geschichtlichen Darstellungen das Wort „Gold“ vorkam, bemühten sich die Alchemisten, wunderbare Erklärungen zu finden: Sie deuteten jede mythologische Erzählung als hermetische Allegorie. Wie in der Zeit der Gnosis und des Neuplatonismus wurden Legenden und Philosophien aus Ost und West zu einem erstaunlichen Weltbild verschmolzen: der Himmel der Theologie und das Universum der griechischen Philosophie, die Traditionen des Orients und die mythischen Figuren unter dem Zeichen des Hermes.

 

Seit der Zeit des mittelalterlichen Kirchenlehrers Albertus Magnus kannte man den lateinischen Wortlaut der Tabula Smaragdina. Aber es galt als gewiss, dass der Text aus der uralten phönizischen oder ägyptischen Sprache übersetzt sei. Man war lange Zeit überzeugt, in den Tempeln und Mysterienritualen Ägyptens den Ursprung der Lehre von der Weltseele zu finden, die man aus den Systemen Pythagoras und Platons kannte. Die scheinbare Affinität zur Lehre des Christentums schien geradezu ein Beweis für das hohe Alter der Tafel zu sein.

 

Allerdings, ein „griechisches Original“ der Smaragdina ist nicht bekannt. Immerhin lassen die Erwähnung des Hermes Trismegistos sowie des im lateinischen ganz ungebräuchlichen Wortes telesmus eine Übersetzung aus dem Griechischen als möglich erscheinen. Dass unter den Kopten auch die chemischen Kenntnisse ihrer Vorfahren lebendig geblieben waren, beweist der Papyrus von Leyden, der zwar griechisch geschrieben ist, aber in einer Weise, die ähnlichen altägyptischen Handschriften so sehr entspricht, dass man dieses Manuskript fast zwangsläufig für eine Übersetzung von der Pharaonenzeit halten muss. Es gibt auch ein arabisches Original der Tabula Smaragdina mit einer wesentlichen Übereinstimmung der Ein- leitung und des Tafeltextes. Da ihre Verfasser unabhängig voneinander vergleich- bare Ideen und Ausdrucksweisen entwickelt hatten, gab es zwischen der Bibel und den Schriften des Hermes etliche Analogien und Berührungspunkte; diese Ähnlichkeit machte auf die Führer der frühen Kirche einen tiefen Eindruck. Im dritten Jahrhundert gab der Kirchenlehrer Lactantius zu:

 

„Hermes Trismegistos hat, ich weiß nicht wie, fast die ganze Wahrheit gefunden.“

 

Eine lange Reihe von Denkern bezeugt die Kenntnis der Tabula Smaragdina in der abendländischen Geschichte: Albertus Magnus, Arnaldus von Villanova, Raymundus Lullus, Petrus Lombardus, Hortulanus (der im elften Jahrhundert einen Kommentar geschrieben hat), Leonardo da Vinci, Agrippa von Nettesheim, Paracelsus von Hohenheim – sie alle kannten die Tabula und waren von ihr beeinflusst.

 

Doch warum war die Tafel mit der Quintessenz hermetischer Weisheit gerade aus Smaragd, nicht aus einem anderen Edelstein oder aus Metall?

 

Wie das Quecksilber das Metall des Hermes ist – Hermes natürlich als Planetengott -, so ist der Smaragd der Stein des Hermes; er gehört zu seiner Charakteristik, zu seinen Attributen, wie das Eisen und der Blutstein zum Mars oder das Blei und die schwarzen Steine zum Saturn gehören. Stellt man diese Symbolik in Rechnung, braucht man sich nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, ob es auch Smaragde gibt, die zur Aufnahme des Textes der Tabula groß genug sind oder ob die Tafel vielleicht aus einem anderen grünen Stein gewesen ist. Die Überlieferung von Geheimnissen auf Tafeln ist ein oft verwendetes Bild, dass auch eine Sammlung mystisch dunkler Worte auf einer Tabula Smaragdina als plausibel galt.