Die Propheten - Prophetie

Das Prophetenamt im alten Israel

Fortsetzung II

Pinchas Lapide - "Ist die Bibel richtig übersetzt?"

Der hebräische NAWI war ein Hüter des Bibelethos, ein Beunruhiger der angeblichen Heilsbesitzer, ein Anprangerer aller Ungerechtigkeit, ein Rüger der Machtgier und der Ausbeutung, aber vor allem der Zerstörer des Aberglaubens, dass Gott ein Erfolgslieferant sei.

 

Nicht zuletzt ist er der Enttäuscher all jener, die Gott in eine Versicherungsanstalt umfunktionieren wollen, um totale Geborgenheit zu erkaufen.

Mit einem Wort: ihr unbequemes Amt war der ewige Einspruch, den sie im Namen Gottes gegen alles Ungute und Herzlose zu erheben hatten.

 

Indem sie unaufhörlich protestierten, waren sie wohl die ersten "Protestanten" Gottes und zwar auf ganz "katholischer" Ebene, d.h. allumfassend und universal, bis an die Enden der Welt. All dies gehörte zu ihrer Berufung, aber was Gott wirklich tun würde - morgen, nächste Woche oder übers Jahr, das wussten sie im Grunde nicht.

 

Erst mit der Übersetzung der hebräischen Bibel ins Griechische kam es zur Hellinisierung des NAWI, wie er in seiner Muttersprache heißt, zum Propheten (von gr. "pró-phemie" - voraussagen) als Wahrsager, Weissager oder Vorauswisser künftiger Ereignisse - alles Leute, die zur Zunft der Orakeldeuter von Delphi gehören. Kurzum; zuständig für all jene sagenumwobene Entschleierung der Zukunft, die wir heute schlechthin als Prophezeiung bezeichnen.

 

Der Bereich des biblischen Künders hingegen, wie Buber ihn verdeutscht, war vor allem die Gegenwart und jene unbefristete Endzeit der messianischen Erfüllung, die ihre Visionen so lebhaft vergegenwärtigt und beschwingt.

 

Was die Zukunft betrifft, wird sie niemals als Voraussage verkündet, sondern als bedingte Alternative, die ihre Hörer vor die freie moralische Wahl stellt: Wenn ihr von Gottes Wegen abirrt, wird euch SEINE Strafe treffen; falls ihr jedoch beizeiten euren Wandel bessert, wird Gott euch wieder Seine Gnade schenken - so heißt es immer wieder in tausend Variationen.

 

Was im Grunde alle Künder in Israel kennzeichnet, ist ihre poetische Bilderrede, die aller Wortwörtlichkeit spinnefeind ist, und der Zweiertakt ihrer Pädagogik, die mit einer aufpeitschenden Drohbotschaft beginnt und regelmäßig mit einer tröstlichen Frohbotschaft ausklingt; wobei die Erstere niemals als unveränderliche Weissagung gegolten hat, sondern als Abschreckung, die sowohl durch Israels Umkehr als auch durch Gottes Gnadenliebe rückgängig gemacht werden kann.

 

Ja, in der rabbinischen Überlieferung wird der "Prophet" sogar als derjenige bezeichnet, der alltäglich mit Inbrunst darum betet, dass seine Unheilsdrohungen nicht in Erfüllung gehen mögen. Mehr noch! Als Hanenja, "der Prophet", der Stadt Jerusalem das Heil der Befreiung verkündet im Widerspruch zu Jeremia, der der Stadt Unterwerfung unter das babylonische Joch predigt, kann der Letztere mit vollem Herzen den Worten seines Gegners hinzufügen: "Amen! Der Herr tue so! Der Herr bestätige dein Wort, das du verkündet hast!" (Jer. 28,6).

 

Der Talmud widerspricht hier all jenen, die aus dem Schrifttum der Künder hieb- und stichfeste Voraussagen entnehmen wollen: "Kein Prophet verkündet etwas anderes, als das was sein soll - aber nicht sein muss" (Toss zu b Jebamot 50 a).

 

So wird ganz folgerichtig keiner der "Propheten" der Bibel als makellos oder unfehlbar dargestellt, sondern ganz und gar als gebrechlicher Mensch, der fehlen kann, der irren darf - und der selten jenen Anklang fand, den er sich so sehnlich wünschen musste.